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Wissenschaft


Kenntnisstau vor der Klinik: Symposium zur Schlaganfall-Therapie


27.07.2000 * (
CcM)
Seit Jahren kennen die Pharmakologen Medikamente, die den Schlaganfall heilen könnten. Bis in die Kliniken sind ihre Erkenntnisse jedoch noch nicht vorgedrungen.
Vom 24. bis 26. Juli 2000 fand im Hörsaalgebäude der Philipps-Universität Marburg das 8. Internationale Symposium zur Pharmakologie der zerebralen Ischämie statt. Auf diesem Kongress unter der Leitung des Marburger Pharmakologen und Toxikologen Professor Josef Krieglstein stellten 60 führende Wissenschaftler aus aller Welt den 400 Teilnehmern neueste Forschungsergebnisse zur Entstehung des Schlaganfalls vor. Außerdem erläuterten sie therapeutische Ansätze zur Behandlung dieses Hirninfarktes.
"Damit haben wir Marburg auf die Landkarte gesetzt", kommentierte Prof. Josef Krieglstein in einem Pressegespräch die Tatsache, dass der Kongress seit 1986 nun schon zum achten Mal in der mittelhessischen Universitätsstadt stattgefunden hat. Damit ist die Veranstaltung bereits zu einer festen Institution geworden. Der Kongress, dessen Kosten sich auf 150.000 bis 200.000 DM belaufen, wird kaum subventioniert und wahrt so seine wissenschaftliche Unabhängigkeit.
Der Schlaganfall gilt nach Herzinfarkt und Krebs als die dritthäufigste Todesursache. Er ist eine Hauptursache von Pflegebedürftigkeit. Allein in Deutschland gibt es eine Million Fälle von Alzheimer, deren Pflege- und Therapiekosten sich 1997 auf 65 Milliarden DM beliefen. Von den etwa 200.000 Schlaganfällen, die in Deutschland jährlich auftreten, enden zirka 60.000 bis 80.000 tödlich. Sieben Milliarden DM werden pro Jahr für die Pflege und Therapie von Schlaganfallpatienten aufgebracht.
In den Vorträgen befassten sich die Spitzenforscher vor allem mit der Erscheinungsform und den Therapieansätzen zum neuralen Zelltod, dem Auslöser für neurodegenerative Krankheiten. Zu 15% wird der Schlaganfall durch eine Blutung im Gehirn ausgelöst. In 85% der Schlaganfälle wird die Blutzufuhr des Gehirns durch einen Gefäßverschluss unterbrochen. Der Sauerstoffmangel führe zu Funktionsstörungen wie beispielsweise Lähmungen, erklärt Carsten Culmsee, Wissenschaftlicher Assistent am Institut. Die Sofort-Maßnahmen müssten deshalb innerhalb von drei bis sechs Stunden nach dem Schlaganfall eingeleitet werden. Beim passiven nekrotischen Zelltod löst sich die Zelle auf. Die dabei freigesetzten Stoffe führen zu einer Entzündungsreaktion im Gehirn. Daneben gibt es den aktiven Zelltod, die Apoptose, wobei die Fragmente der sterbenden Zelle von benachbarten Zellen aufgenommen werden. Dieser stille Zelltod hat keine Entzündung des Gehirns zur Folge. Für die Schlaganfallstherapie bedeutet das, dass eine Hemmung der Caspasen, der zuständigen Enzyme für das Selbstmordprogramm der Zelle, erreicht werden muss.
Außerdem wurde die Schädigung der Mitochondrien nach einem Schlaganfall von Wissenschaftlern untersucht. Diese Energielieferanten für die Zelle werden in ihrer Funktion gestört, wobei es zu einem Energieabfall und zu einem toxischen Anstieg von Kalziumkonzentration in der Zelle kommt. Außerdem bilden die Mitochondrien vermehrt schädigende Sauerstoffradikale und setzen Stoffe wie beispielsweise Cytochrom C frei, das wiederum die Caspasen aktiviert. Doch nicht nur die Mechanismen in den Nervenzellen sind für eine Entzündung im Gehirn verantwortlich. Auch sekundäre Reaktionen anderer Zellen wie Astrozyten und Mikroglia im Gehirn und die Einwanderung von Immunzellen aus dem Blut tragen erheblich dazu bei. Neueste Forschungen belegen, dass die gleichen Zellen auch das Potential besitzen, Neurone zu schützen, wenn sie rechtzeitig aktiviert werden und protektive Zykotine und Wachstumsfaktoren freisetzen. Die Anwendung von Stammzellen bei neurodegenerativen Krankheiten wurde ebenfalls auf dem Kongress diskutiert. Stammzellen, die ins Gehirn injiziert werden, siedeln sich im Schädigungsbereich an, differenzieren dort in Nervenzellen aus, was zu einer funktionellen Verbesserung führt. Nicht nur neuronale embryonale Stammzellen, sondern auch Stammzellen aus dem Knochenmark können diesen Effekt erzielen. Außerdem wurden Strategien diskutiert, wie man Stammzellen im Gehirn vermehrt aktivieren und sie zur Bildung neuer, funktioneller Neuronen bringen kann. Dieser Ansatz ist völlig neu, da eine Regeneration durch Bildung neuer Neurone im reifen Gehirn bisher unbekannt war.
Ein anderes Gebiet, das auf dem Kongress vorgestellt wurde, ist die Gentherapie auf der Grundlage der systematischen Analyse von Genen, die im Verlauf der Schädigungs- und Reparaturmechanismen im Gehirn aktiv werden. Eine solche großangelegte, computergestütze Analyse wird in den nächsten Jahren noch ein hohes Maß an theoretischer Arbeit erfordern. Die Werkzeuge sind verfügbar, und die ersten Ergebnisse wurden bereits in Marburg vorgestellt.
Auf das Dahinvegetieren von Pflegefällen habe die Gesellschaft keine Antwort, so Krieglstein. "Die eigentliche Antwort muss von den Neurowissenschaftlern kommen."
Das Symposium dient in erster Linie zur Erweiterung des Basiswissens in der Schlaganfalltherapie. In der klinischen Umsetzung wurde bislang jedoch noch kein entscheidender Durchbruch erzielt. "Es gibt einen Kenntnisstau vor der Klinik", kommentiert Krieglstein die schlechte Umsetzung der Erkenntnisse in die Praxis. Der Grund hierfür liegt vor allem in den langen, teuren Probephasen an Tiermodellen, die ein Medikament durchlaufen muss, bis es sicher am Patienten angewendet werden kann. "Man kann ja nicht am Menschen experimentieren, und das ist auch gut so", so Krieglstein.
Die Hauptauslöser für den Schlaganfall sind Bluthochdruck und arterielle Sklerose. Die Prophylaxe von Bluthochdruck ist schwierig durchzuführen, weil hierzu die Einsicht des Patienten erforderlich ist, da sich ein Hypertoniker ohne Medikamente wesentlich besser fühlt. Der arteriellen Sklerose, die häufig zum Herzinfarkt führt, kann man durch eine vernünftige Ernährung vorbeugen.
In einigen Monaten soll ein Konferenzbericht in Buchform herausgegeben werden. In zwei Jahren wird Marburg wieder im Zentrum der Schlaganfallforschung stehen.


08.06.2000 * Wissenschaftspreis: Vom Marburger Labor ins ländliche Südafrika


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