in Partnerschaft mit
28.04.2001 * (FJH)
"Es gibt schwierige Vaterländer. Deutschland ist eines davon." Diesen weisen Satz des einstigen Bundespräsidenten Gustav Heinemann hätte sich Marburgs Oberbürgermeister
Dietrich Möller
besser vergegenwärtigen sollen, als er im
Hessischen Rundfunk
(HR) sein Grußwort zum
Burschentag
am 7. April in der Marburger Stadthalle rechtfertigte. Vor laufender Fernsehkamera fand der CDU-Politiker "nichts dabei., alle drei Strophen des Deutschlandlieds zu singen". Schließlich seien sie alle ja die deutsche Nationalhymne, behauptete Möller fälschlicherweise.
Tatsächlich ist nur die dritte Strophe des Textes von Hoffmann von Fallersleben zur Musik von Joseph Haydn die deutsche Nationalhymne. "Deutschland, Deutschland, über alles in der Welt" - "von der Maas bis an die Memel , von der Etsch bis an den Belt" singt man heute aus gutem Grunde nicht mehr. Das hätte der sonst so gewiefte Möller wissen müssen.
Bei der Stadtverordnetensitzung am gestrigen Freitag (27. april) musste sich das Stadtoberhaupt für diesen Fautpas entschuldigen. Seine Formulierung sei "unglücklich" gewesen, aber eine Entschuldigung sei das nicht, beteuerte Möller. Die Rücktrittsforderung des DGB-Kreisvorsitzenden
Rüdiger Stolzenberg
und der - auf Transparenten vor dem Stadtverordnetensitzungssaal zum Ausdruck gebrachte - Protest einiger Demonstranten iwe auch vielstimmige öffentliche Kritik haben ihn scheinbar nicht zum Nachdenken darüber veranlasst, warum lediglich "Einigkeit und Recht und Freiheit" besungen werden. Das mag manchen dann doch sehr nachdenklich stimmen.
Grund zu innerer Einkehr hat aber nicht nur das Stadtoberhaupt, denn immer noch warten ehemalige Marburger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf Entschädigung. Das Parlament hat zwar der Geschichtswerkstatt den Auftrag erteilt, dieses dunkle Kapitel kommunaler Vergangenheit zu durchleuchten, die von den Historikern geforderten Konsequenzen will man aber nicht ziehen. Einne Million DM sollte die Stadt nach Meinung der Geschichtswerkstatt zahlen, denn so viel wäre der Gewinn des städtischen Bauamtes an der Sklavenarbeit heute wert. Doch der Kämmerer verweist auf die Bundesstiftung "erinnerung, Verantwortung Zukunft", die auch die kommunale Schuld aus fünf Milliarden DM Bundesmitteln begleiche.
Es ist beschämend, wie wenig Verantwortungsbewusstsein und Fingerspitzengefühl viele hierzulande im Umgang mit der deutschen Geschichte beweisen! Da sind reaktionäre Skinheads und Nazi-Parolen brüllende Jugendliche ja fast schon kein Wunder mehr!
Aber auch der - vielerorts zu beobachtende - pflichtgemäße Antifaschismus oder platte Parolen "Nazis raus!" helfen hier wenig. Wichtig sind gute Argumente. Die müssen sich nicht nur gegen Faschismus richten, sondern in erster Linie demokratisches Denken fördern. Da brauchen Jugendliche auch vorbilder. Dietrich Möller ist sicherlich keins!
Trotzdem: Noch ist Marburg nicht verloren. Eine progressive politische Kultur ist hier stärker verankert als anderswo. Immerhin "immerhin unterstützen das Kultur- und das Jugendamt der
Stadt Marburg
das vom
Deutschen Gewerkschaftsbund
organisierte Konzert "Rap gegen Rechts" am Montag (30. April) um 21 Uhr auf der Schlossparkbühne.
24.04.2001 * (sfb)
"Die Wahlbeteiligung ist auf 5,7 % zurückgegangen." Diese Wahlergebnis zum 3. Kinder- und Jugendparlament (KJP) des
Landkreises Marburg-Biedenkopf
teilte Sozial- und Jugenddezernent
Thomas Naumann
am Dienstag ( 24. April) auf einer Pressekonferenz imw
Kreishaus mit.
Damit hat das seit Oktober 1996 bestehende Parlament die niedrigste Wahlbeteiligung seiner Geschichte zu verzeichnen. 1996 waren es immerhin 11 %, die 1999 auf stolze 20% angestiegen sind, - ein Ergebnis, dass zunächst hoffen ließ. Man kann sich schlecht damit trösten, dass dieser rapide
Rückgang an Wählerstimmen im Trend der jüngsten Kreis- und
Kommunlwahlen liegt. Woran liegt es dann? Desinteresse oder die
allgemeine Politikverdrossenheit scheiden als Gründe aus.
Der Grund, so Naumann, sei hausgemacht. Es liege an der mangelnden
Besetzung der Geschäftsstelle im hiesigen Landratsamt, die sich auf der ganzen Linie als funktionsuntüchtig erwiesen habe. Zum Beispiel war eine für die PR der Parlamentswahlen zuständige ABM-Stelle nahezu drei Monate unbesetzt, ergänzte Sabine Datz, ABM-Kraft in der Kreisverwaltung.
Abgesehen von dem katastrophalen Wahlergebnis, das Naumann in Kenntnis der Gründe nicht unnötig dramatisieren möchte, regte er die Diskussion an, ob es nicht auch andere oder zusätzliche Möglichkeiten für Jugendliche gebe, an politischen Vorgängen teilzuhaben.
Auch wäre ein politisches Engagement in der parlamentarischen Arbeit, das über das Gemeindliche hinausgeht, wünschenswert. Naumann möchte Jugendliche in die Kreispolitik einbinden, ohne sie zuzuschütten. Bislang dürfen die Jugendlichen lediglich an Sitzungen des Kreistages und seiner Ausschüsse teilnehmen.
Doch bevor es zu einer Ausweitung ihrer Aufgaben kommt, bleiben die Gewählten für zwei Jahre im Amt. Am 12. Mai 2001 findet eine
konstituierende Sitzung im Kreistagsgebäude statt. Dort werden sieben Personen für die Besetzung der Vorstandsposten zur Wahl stehen.
Für den weiteren Verlauf ihrer Tätigkeit stellen sich die Parlamentarier, die im Alter zwischen 12 und 18 Jahren sind und ihren Wohnsitz im Landkreis haben, auf einen festgelegten Terminplan ein. Im Abstand von 2 Monaten finden sich alle - das Parlament und der Vorstand - zu öffentlichen Sitzungen zusammen. Darüber hinaus sind Arbeitsgruppen-Treffen zu bestimmten Themenbereichen sowie Vorstandstreffen vorgesehen, die zwei bis drei mal im Monat stattfinden, so Steve Wack, (15) Abgeordneter der Gemeinde Lohra.
Was die jugendlichen Abgeordneten vorhaben, wissen sie noch nicht. Themenvorschläge können erst eingebracht werden, nachdem sich die jungen Parlamentarier kennen gelernt haben. Logo! Aber m öglich wäre, einen Jugendkulturpreis auszuschreiben, so der 15-jährige Schüler.
Die Themen, die debattiert und beschlossen werden, entstammen dem
direkten Lebensumfeld und den Interessen der Kinder.
Sie haben viel erreicht: Sie haben sich für die
Verbesserung der Schulbussituation eingesetzt oder Rocknächte mit
Jugendbands sowie ein Jugendkulturfestival auf die Beine gebracht.
Meckerkästen wurden ausgehängt, in denen andere ihre Beschwerden
oder Anliegen loswerden können.
Es darf nicht nur gemeckert werden. So traurig die niedrige
Wahlbeteiligung auch ist, positiv bleibt, dass zum ersten Mal Kinder und Jugendliche im Landkreis ein politisches Mitspracherecht haben und Abgeordneten in ein Parlament wählen oder sich selbst zur Wahl stellen können.
07.04.2001 * (sfb)
Ein Räuber-und-Gendarm-Spiel in Alt-Marburger Tradition präsentierte sich am Samstagvormittag (7. April) vor dem Erwin-Piscator-Haus.
Zu einem außerordentlichen Burschentag trafen sich dort 300 Delegierte des Dachverbandes der Deutschen Burschenschaften (DB), um verbandsinterne Angelegenheiten zu besprechen. Voraussichtlich bis Sonntag stehen Themen zu langfristigen Umstrukturierungen der DB-Organisation oder die Verwaltung von Liegenschaften auf der Tagesordnung. Dies teilten Vertreter der Burschenschaft Rheinfranken am Freitagabend (6.April) auf einer Pressekonferenz mit.
Nach langem Tauziehen war die Marburger Stadthalle als Tagungsort durch Verwaltungsgerichte in Gießen und Kassel im Eilverfahren genehmigt worden, obwohl Bürgermeister Egon Vaupel die Unterschrift unter den Mietvertrag verweigert hatte. Trotzdem standen dem Delegiertentreffen rund 300 Demonstranten gegenüber. Aufgerufen zu diesem Widerstand hat das "Marburger Bündnis gegen Rechts". Ein breiter Bewachungsgürtel an Polizisten und Schäferhunden um die Stadthalle hinderte die Protestierenden jedoch daran, ihre Kritik an die Herren zu bringen.
Nicht wenige Demonstranten sahen darin ein völlig überzogenes Polizeiaufgebot. Wolfgang Keibelt, Vertreter der Rheinfranken Marburg, begrüßte die starke Polizeipräsenz jedoch als notwendige Sicherheitsmaßnahme. Die Erfahrung habe gezeigt, dass politische Meinungen der linken Szene nicht selten mit Fäusten durchgesetzt würden. Die Burschenschaften sehen sich deshalb als Opfer politisch motivierter Gewalt und nicht als tendenzielle Täter, ergänzte Christian Balzer, Mitglied von den Rheinfranken.
Faschismus, Intoleranz, Sexismus, Antisemitismus, Rechtsextremismus oder Militarismus lauten die oft gehörten Schlagworte, die den Burschis vorgehalten werden. Sie seien sowohl Mittäter als auch ideologische Wegbereiter der rechtsextremen Gewalt, meinte Kerstin Weinbach, Vorsitzende der SPD Marburg, auf der Kundgebung, die aufgrund des lauten Gebells der Polizeihunde akustisch nicht gut ankam.
Nach ihrem Selbstverständnis "Ehre, Freiheit, Vaterland" vertreten die Burschenschaften allerdings demokratische Prinzipien, stehen auf dem Boden der Verfassung, sind überparteilich und parteipolitisch unabhängig.
Außerdem orientieren sie sich an einem volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff. Demnach werden nur Deutsche als Mitglieder aufgenommen. Deutsch sei, wer sich mit der deutschen Sprache, Kultur, Herkunft sowie der deutschen Geschichte identifiziere. Ein deutscher Pass reiche als Aufnahmekriterium nicht aus, sagte Wolgang Keibelt, Alter Herr der Rheinfranken tags zuvor in einem Pressegespräch. Regiert am Ende doch nur die Blut- und- Boden- Ideologie der Nazis?
Äußerungen dieser Art sind zweifelsohne in der rechten Ecke angesiedelt. Aber auch die linke Gegenseite machte sich auf der Kundgebung mit Parolen wie "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft." oder "Wer abends aus dem Fenster guckt, mal eben auf die Kappe spuckt" ihres eigenen Faschismus-Vorwurfs verdächtig. Ein wahrlich gefundenes Fressen liefert ein Bursche, der volltrunken in Richtung Stadthalle torkelte und Demonstranten mit Resten seines Frühstücks bespuckte. Sich auf der richtigen Seite wähnend, sank bei einigen Demonstranten sogar die Hemmschwelle zur - dann allseits akzeptierten - Gewalt. Ein junger Mann beispielsweise trillerte einen gehetzten Passanten mit grüner Kappe einfach so ins Ohr.
Zwei ältere Menschen, die ihr Transparent: "Weitherzigkeit statt Engherzigkeit", zwischen den verhärteten Fronten hin und her trugen, wirkten fast schon wie Spielverderber in diesem spätpubertären Szenario.
04.04.2001 * (sfb)
Alles fließt? Zumindest fiel die für den Mittwoch (4. April) vorgesehene Ausstellungseröffnung "unsere Luftwaffe" buchstäblich ins Wasser. Wenn schon keine Eröffnung stattfand, so mußte doch irgend etwas Aufschluß darüber geben, was den Besucher vom 5.-8. April auf dem Messegelände am Afföller erwartet.
Aus einem
Aufruf
der
Marburger Friedensinitiative "Nein zum Krieg"
geht das Veranstaltungsprogramm der "Gegenseite" hervor. Geplant sind Aktionen, die zeigen sollen, wie ein Rettungshubschrauber Menschenleben rettet und wie ein Bundeswehrerbseneintopf für das leibliche Wohl sorgt, dann wie mit einem Tanklöschfahrzeug Brände bekämpft werden oder wie mit Blut- und Sehtests Gesundheitsvorsorge betrieben wird. Wen diese Luftwaffe tatsächlich tötet, muß selber Schuld sein, möchte man glauben.
In Wirklichkeit befindet sich die Luftwaffe auf PR-Kurs, so die Kritiker. Die Bundeswehr mutiere von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee, die kampfeslustige Soldaten anheuern wolle. So gesehen wäre nicht nur die Eröffnung eine farce.
Fest steht, dass nichts eröffnet wurde und auch sonst vieles verrammelt und verschlossen blieb. Der Ausstellungsplatz, der mit Hubschraubern und anderen Kampfflugzeugen gefüllt war, schien nicht ohne weiteres zugänglich. Ein kopfhoher Zaum sperrte das Terrain ab. Gemäß des deutschen Leitspruchs "sicher ist sicher" standen um diesen Zaun herum Polizeiwagen - allerdings auf verlorenem Posten.
Nicht minder abwehrend reagierten Passanten auf Fragen, ob die Ausstellung überhaupt stattfände und wenn ja, wann dies geschehe. "Ich weiß nichts und es ist mir auch egal". , antwortete eine Dame sichtlich genervt. Ein anderer gab zu verstehen, dass man bei ihm mit solchen Fragen an der falschen Adresse sei.
Schutz vor dem ebenso lästigen Regen suchten die Herren in Uniform auf der einen Seite sowie eine Handvoll Demonstranten auf der anderen, die sich mit ihren Transparenten bei einem nahe gelegenem McDonalds -Restaurant unterstellte. Gott läßt scheinen über Gute und Böse, aber komisch: im Regen werden alle gleichermaßen naß gemacht. So konnte niemand sehen, was in mühseliger Kleinarbeit auf den Transparenten geschrieben wurde. Irgendwas mit Jugoslawien oder so. Und niemand konnte der Eröffnungsrede eines Majors lauschen oder sie ungehört niederbrüllen. Nur die auf dem Messegelände herumstehenden Kampfmaschinen sprachen für sich: Sie waren die einzigen, die dem Wetter standhaft trotzen. Da sage noch einer "Weiches Wasser höhlt den Stein".
28.03.2001 *
Seminar macht Mut: Politik braucht Frauen
Politik
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28.04.2001 by
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