Text von Sonntag, 27. Januar 2002
Marburg * (FJH)
Auf- und ausbrechen, die engen Grenzen des Alltags sprengen - dieses Lebensgefühl hat die Epoche der Romantik geprägt. Wo anders wäre es so vollständig verwirklicht wie im Tod? Die Gräber zweier promininter Vertreter dieser Epoche standen im Mittelpunkt einer Matinee im Marburger Haus der Romantik. Die Grabmale des Philosophen und Theologen Christian Andreas Leonhard Creuzer (1768 - 1844) sowie des Theologen Karl Wilhelm Justi (1767 - 1846) stellte die Biologin und Friedhofs-Expertin Dr. Barbara Rumpf am Sonntag (27. Januar) auf dem Friedhof am Barfüßer Tor ausgiebig vor. Vor den Toren der Stadt entstand 1530 auf Anweisung des Landgrafen Philipp des Großmütigen der Friedhof am Barfüßer Tor. Aus Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung wie auch wegen der Verwesungsgerüche bei den häufigen Graböffnungen wollte der Hessische Landesherr damit den Friedhof rund um die Lutherische Pfarrkirche ersetzen. Noch heute trägt das Gelände dort den Namen "Lutherischer Kirchplatz". 153 Gräber fanden auf dem Areal zwischen der heutigen Universitätsstraße und der Straße "Barfüßer Tor" Platz, bis 1833 mit den Planungen für einen noch weiter außerhalb - an der Ockershäuser Allee - gelegenen Friedhof begonnen wurde. Seit 1869 finden Marburgs Bürgerinnen und Bürger dort ihre letzte Ruhestätte. Früher waren die Grabstellen am Barfüßer Tor Ausdruck der individuellen Lebensverhältnisse des Verstorbenen. In lateinischer Sprache gibt der Grabstein des Bildhauers Johann Adam Franck (1653 - 1705) Auskunft über die Lebensverhältnisse des Verstorbenen. So erfahren Interessierte, das er einen Sohn und drei Töchter "erzielte". Während der Romantik prägen das allgemein vorherrschende Naturgefühl und die weit verbreitete Empfindsamkeit die Darstellung auf den Grabsteinen. Efeuranken und der Lebensbaum symbolisierten die Unvergänglichkeit. Kreuze und Gewinde aus Eisen kamen - nicht nur beim Grab der Familie Ries auf, nachdem in der Region mehrere Eisengießereien ihre industrielle Produktion aufgenommen hatten. Auf dem Grab des Kaufmanns und Branntweinhändlers Nikolaus Körner (1780 - 1834) versinnbildlicht ein Schmetterling die letzte Verwandlung. "Christian Andreas Leonhard Creuzer, Professor und Oberkonsistorialrat, ruht hier mit den Seinen." Fast noch bekannter als der Marburger Romantiker ist sein Bruder Friedrich, der in Heidelberg lebte. Beide gehörten - ebenso wie Karl Wilhelm Justi - dem Freundeskreis um Friedrich Carl von Savigny (1779 - 1861) an, der von 1802 bis 1810 der Philipps-Universität angehörte. Der Rechtsgelehrte versammelte in seinem Haus - dem Forsthof an der Ritterstraße - alle bedeutenden Romantiker von den Brüdern Grimm über Bettina und Achim von Arnim bis hin zu Clemens von Brentano. Es handelte sich bei diesem Kreis, der die Gedichtsammlung "Des Knaben Wunderhorn" anregte, freilich um erweiterte Familientreffen, da Bettina von Arnim (1785-1859) die Schwester seiner Frau Gunda von Brentano war. Karl Wilhelm Justi war Pfarrer der - gleich unterhalb des Forsthofs gelegenen- Lutherischen Pfarrkirche. An der - bis 1822 calvinistischen - Philipps-Universität lehrte der Lutheraner Theologie am Fachbereich Philosophie, bis die Ausweitung zur protestantischen Universität erfolgte. Justi begründete eine bekannte Marburger Gelehrtenfamilie. Gemeinsam mit Creuzer richtete er eine Betreuungsmöglichkeit für Kinder im Vorschulalter ein, die als Vorläufer der heutigen Kindergärten gelten kann. All das vermittelte Barbara Rumpf kenntnisreich, wobei sie allerdings - getreu dem Leitmotiv der Romantik - die engen Grenzen einer auf das Wesentliche zugespitzten Darstellung sprengte. Das Naturgefühl der Romantik kann aber jeder leicht nachvollziehen, der die Grabstellen auf dem kleinen Friedhof mit Muße betrachtet. |