Text von Donnerstag, 8. März 2007
Heide: Tagesmutter von Beruf | ||
Marburg * (sts)
Sobald man die Schuhe im Hausflur ausgezogen hat, wird eines klar: Hier beginnt die Miniatur-Welt. Im Vergleich zu den winzigen Kinderschuhen wirkt das eigene Paar geradezu klobig. Das Spielzimmer ist das Zentrum des Kinderreichs. Die gesamte Einrichtung ist auf die Kinder zugeschnitten. Erwachsene wirken nur sitzend nicht wie deplazierte Riesen. Mitten im Raum sitzt Jeanette Heide und füttert den sechs Monate alten Thomas. Der 17 Monate alte Theodor und der knapp zweijährige Birk spielen miteinander. Der kleine Fynn schläft. Seit 25 Jahren ist Jeanette Heide Tagesmutter. Das sei "eine Arbeit wie jede andere, aber eine sehr schöne", sagt sie selbst. Ihr Arbeitstag beginnt um sieben Uhr morgens, wenn das erste Kind von den Eltern gebracht wird. Um sieben Uhr abends wird das letzte Kind abgeholt. "Dann muss ich noch aufräumen und alles für den nächsten Tag vorbereiten", berichtet sie. "Da bleibt wenig Freizeit." Angefangen hat alles seinerzeit in Berlin. Ihren Job in der Gastronomie gab Heide nach der Geburt ihres ersten Sohnes auf. Sie wollte sich auf ihre Mutter-Rolle konzentrieren. Doch das wurde ihr schnell langweilig. Darum war sie froh, als eine Freundin fragte, ob sie denn nicht auch noch auf ihr Kind aufpassen könne. Wie die von Jeanette Heide beginnen viele Tagesmütter-Karrieren. "Das Wichtigste ist der Rückhalt in der eigenen Familie. Ohne die Unterstützung und das Verständnis meines Mannes und meiner Tochter könnte ich diesen Beruf nicht ausüben. Neben meinen beiden eigenen Kindern habe ich so im Laufe der Jahre noch 60 andere bekommen", meint Heide lachend. Tatsächlich hat sie noch heute zu fast allen von ihr betreuten Kindern und deren Familien Kontakt:"Ich kann überall in Deutschland Urlaub machen." Von ihrem reinen Verdienst könnte sie das kaum. 500 Euro zahlen die Eltern pro Kind und Monat an die Tagesmutter. Als Selbständige muss Heide allerdings alle aufkommenden Kosten von der Heizung bis zu den Windeln selbst tragen. "Nicht an jedem Monatsende steht da tatsächlich noch ein Plus", verrät sie. Nur dadurch, dass sie die Maximal-Zahl von fünf Kindern betreut, bleibt überhaupt etwas übrig. Doch mehr Geld können sich die Eltern nicht leisten. Antje Wienss bringt ihren Sohn Birk seit September vergangenen Jahres zu Jeanette Heide. Die 28-Jährige hat nach der Geburt wieder angefangen, zu studieren. "Ich habe mein Medizin-Studium in der Regelstudienzeit abgeschlossen. Um aber als Gesichtschirurgin arbeiten zu können, muss ich auch noch Zahnmedizin zu Ende studieren", erzählt sie. Da ihr Ehemann Vollzeit arbeitet und die Verwandtschaft weit entfernt wohnt, benötigte sie für Birk eine Tagesbetreuung. Eine Kinderkrippe kam schon wegen der zu kurzen Öffnungszeiten nicht in frage. "Während des Semesters bin ich von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags in der Uni. Die Krippe schließt aber um zwei Uhr. Ich brauchte eine flexible Betreuung." Ähnlich sieht es auch bei Thomas Mutter Margit Kerzel aus. Vor drei Tagen hat die Apothekerin wieder angefangen, zu arbeiten. "Erst Mal aber nur halbtags." Über die Kinderbetreuungsbörse hat sie sich nach einer Tagesmutter in ihrem Wohnort Wehrda erkundigt. Doch da gab es keine. Daraufhin hat sie sich mit drei Tagesmüttern getroffen und sich schließlich für Jeanette Heide entschieden. "Ich wollte mein Kind natürlich nicht irgendwem anvertrauen. Bei Jeanette hatte ich sofort das richtige Bauchgefühl." Auch Margit Kerzels Mann ist voll berufstätig. Sonst wäre die Tagesmutter auch nicht zu finanzieren. Das ist ein Umstand, den Jeanette Heide bedenklich findet: "Derzeit kann ich nur Kinder aufnehmen, bei denen zumindest ein Elternteil einen lukrativen Job hat. Ich hätte auch gerne mal wieder ein Kind, dessen Vater in der Fabrik arbeitet und dessen Mutter im Supermarkt an der Kasse sitzt." Wer aber über 1.100 Euro monatlich verdient, kann keinen Zuschuss vom Jugendamt bekommen. Eine Tagesmutter können sich diese Eltern trotzdem nicht leisten. "Das Kind ist dann mal beim Opa, mal bei der Tante und dann bei der Nachbarin. Das sind sehr ungünstige Betreuungskarrieren", findet Heide. Bei ihr wachsen dagegen auch die Einzelkinder mit Gleichaltrigen auf. "Dadurch können sie viel voneinander und miteinander lernen." Einmal in der Woche treffen sich die "Heide-Kinder" auch zum gemeinsamen "Musik-Kreis" mit den Gruppen der beiden anderen Tagesmütter in Bauerbach. Mit den älteren geht Heide auch regelmäßig in den Kindergarten vor Ort. "Damit die Kinder überhaupt mal wissen, was ein Kindergarten ist, bevor sie mit drei Jahren einfach dort rein gesteckt werden." Und noch etwas ist Jeanette Heide außerordentlich wichtig: "Die Tagespflege ist eine familiennahe Betreuungsform. Nur wenn ich mich mit den Eltern gut verstehe, können auch die Kinder bei mir glücklich sein." Dazu gibt es regelmäßige Eltern-Treffen, gemeinsame Unternehmungen und vieles mehr. Bei kriselnden Beziehungen passt Heide auch schon mal ein Wochenende auf die Kinder auf, damit die Eltern mal ein Wochenende zu Zweit verbringen können. "Irgendwann ist man wie miteinander verwandt, so eng ist die persönliche Bindung", berichtet Heide. Auch zwischen den Eltern: Der kleine Theodor kommt heute Nachmittag mit zur Familie Wienss. Schnell noch Schuhe und Jacke anziehen und dann geht es wieder in die Welt der Erwachsenen. Hinaus aus Jeanette Heides Kinderwelt. Aber morgen sind sie alle wieder da. | ||
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