Text von Dienstag, 2. Oktober 2007
Neue Einblicke: Exkursion nach Russland | ||
Marburg * (jnl)
Zur Präsentation der Ergebnisse einer Exkursion von Studierenden hatte das Fachgebiet Völkerkunde am Donnerstag (25. Oktober) eingeladen. Das Ganze firmierte unter dem Titel "Musik und Identität im postsowjetischen Russland". Eine mehr als 20-köpfige Gruppe hatte im April 2007 nach fast zweijähriger Vorbereitung ein mehrwöchiges Lehr-Forschungsprojekt in der nordwestrussischen Provinz Karelien absolviert. Der scheidende Institutsdirektor Mark Münzel hielt dazu eine kleine Ansprache. Ebenso ergriff auch der nur englisch, russisch und französisch sprechende Exkursionsleiter Bernard Pouleaouen das Wort. Präsentiert wurde im musealen Bereich eine kleine Ausstellung mit Objekten, Text-Tafeln und Fotografien in drei Vitrinen und auf zwei zusätzlichen Wandflächen. Neben einer kartografischen Verdeutlichung der Etappen gab es vor allem eindrucksvolle Fotografien des Alltags- und Kulturlebens. Als Objekte wurden traditionelle Musikinstrumente und Broschüren ausgestellt. Die Fotos zeigten diese Trachten und Instrumente im Gebrauch der örtlichen Tanz- und Musikgruppen. Das Wieder-Anknüpfen an regionale kulturelle Traditionen scheint nur sehr kleine Ausschnitte der wirtschaftlich verarmten Bevölkerung vor Ort zu erfassen. Die Jüngeren, zumal die an der regionalen Universität Studierenden, träumen überwiegend von Fortgehen. Die Zurückbleibenden sind wenig hoffnungsfroh. Der männliche Teil der Gesellschaft ist oft der Trunksucht verfallen. Die besten der Fotografien brachten das in beeindruckender Weise zum Ausdruck. Anders stellt sich das nur dort dar, wo die Menschen Auskommen und Trost in Bildung, Vereinen und Musik finden. Der mediale Teil der Veranstaltung gehörte einer digitalen Dia-Show und zwei aus der Exkursion entstandenen Filmen. Zu Beginn ironisierte man das Thema treffend, indem die gängigen Klischees über die heutigen russischen Menschen und Verhältnisse unmittelbar genannt wurden. Das waren zum Beispiel der verbreitete Alkoholismus, die schlechte Stellung der Frauen, die starke Familienbindung und der beträchtliche Nationalstolz der Russen. Angesprochen wurde auch der Mythos der "russischen Seele" sowie der realen extremen Verarmung weiter Bevölkerungskreise bei gleichzeitigem Entstehen einer kleinen Oberschicht von Superreichen. Der längere der beiden Filme dokumentierte die Praxis der örtlichen Kulturgruppen. In der regionalen Universitätsstadt bietet die vielköpfige Musizier- und Tanzgruppe eines der wenigen Schlupflöcher, um mit Auftrittsreisen im In- und Ausland herumzukommen. Besonders Fahrten zu Folklore-Festivals ins westliche Ausland sind heiß begehrt. Für den Durchschnitts-Russen sind solche Reisen aber in der Regel kaum zu bezahlen. Eingehende Interviews mit einzelnen Gewährspersonen erbrachten tiefere Einblicke. Der starke kommunikative Sog aus den gemeinsamen Aktivitäten führt offenbar zu hoher Identifikation. Selbst Zugewanderte werden dadurch stark in die Folklore-Traditionen integriert. Ein zweiter Film zeigte hauptsächlich Bilder und Impressionen. Er war weniger analytisch als der erste Film. Stattdessen transportierte er das vorherrschende Lebensgefühl der Einheimischen und die Reaktionen der Marburger Studenten mit emotionaler Wucht. Die Veranstaltung zeigte, dass Forschung auch in den Randbereichen der Universität spannend und lebensnah ablaufen kann. | ||
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