in Partnerschaft mit
30.09.2000 * (FJH)
Die neue Kunsthalle auf dem ehemaligen Schlachthof-Gelände haben Oberbürgermeister
Dietrich Möller
und als Kulturdezernent Bürgermeister
Egon Vaupel
am Freitag (29. September) an den Marburger Kunstverein übergeben. Neben 500 Quadratmet3rn Ausstellungsfläche stehen in dem Neubau am Gerhard-Jahn-Platz auch Büroräume und eine Cafeteria zur Verfügung. Das bisherige Domizil des Kunstvereins am Marktplatz soll einer neuen Nutzung zugeführt werden. Beworben hat sich darum ein - erst im Herbst 2000 gegründeter - Verein "Deutsche Märchenstraße", der das historische Fachwerkhaus als geeignete Kulisse für eine Darstellung von Grimms Märchen ansieht. Der Kunstverein wiederum darf sich freuen, mit der neuen Kunshalle die größte Ausstellungshalle Mittelhessens nutzen zu können. Am 20. Oktober soll dort die
erste Ausstellung mit Werken von Meisterschülern
der Kasseler Kunsthochschule eröffnet werden.
27.09.2000 * (SPa)
Oft wird die heimische Brauchtumspflege nur milde belächelt: Landrat
Robert Fischbach
verlieh am Montag (26.September) im Marburger Kreishaus den
Otto-Ubbelohde-Preis für besondere Verdienste auf dem Gebiet des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege im heimischen Raum. Von den insgesamt 44 Bewerbungen wurden als Einzelpersonen Heinrich Groß und Willibald Preis sowie als Gruppe der Arbeitskreis Dorferneuerung Dreihausen e.V. von einer 5-köpfigen Jury ausgewählt.
Der 65-jährige Zimmerermeister Heinrich Groß fand, so Landrat Fischbach, fast zwangsläufig seinen Weg vom Handwerk zur Kunst.Inzwischen hat er sich mit Holzschnitten in typisch hessischer Gestaltungsart auch über die Landesgrenzen hinaus eine Namen gemacht. Er wurde aufgrund dieses vielfältigen künstlerischen Schaffens ausgezeichnet. Willibald Preis hat sich in besonderer Weise für den Wettbewerb "Unser Dorf" engagiert. Er gründete das "Verschönerungswerk Himmelsberg" und setzt sich als ehrenamtlicher Helfer unter anderem für die Pflege alter Bauerngärten und für die Sicherung alter Kirchplätze ein.
Die Arbeitsgruppe aus Dreihausen hat in besonderer Weise die Dorfgeschichte aufgearbeitete und an den Schulen vermittelt.
Zur Zeit stecken die Mitglieder des Vereines ihre Kräfte in die Vorbereitungen zu einer Dorfgeschichte über Dreihausen und in die Sanierung eines alten Stallgebäudes, in welchem ein Heimatmuseum entstehen soll.
In seiner Festrede über die "Dorf-und Regionalentwicklung" brachte Gerd Jürgen Daubert die "Globalisierung der Wirtschaft" in Zusammenhang mit der Tendenz, sich vermehrt wieder regionalen Angelegenheiten zuzuwenden. Allerdings solle dies, so Daubert, kein "Abschotten von der Außenwelt" bedeuten.
Nach der feierlichen Übergabe des mit 4.000 DM dotierten Preises durch Landrat Fischbach kamen die Gewinner zu Wort. Diese richteten besonderen Dank an diejenigen, die sie - manchmal ohne ihr Wissen - für den alle zwei Jahre vergebenen Preis vorgeschlagen hatten und an diejenigen,die bei der Verwirklichung ihrer Projekte mitgeholfen haben.
Otto Ubbelohde (1867-1922), nach dem der Preis benannt ist, war Landschaftsmaler, Grafiker, Illustrator und Entwerfer kunsthandwerkliche Arbeiten. Weltweit bekannt wurde der Marburger durch seine Zeichnungen zu "Grimms Märchen", die von 1907 bis 1909 erstmals veröffentlicht wurden. Ubbelohde gehörte der künstlerischen Erneuerungsbewegung um 1900 an, deren Ziel es war, Kunst und Leben wieder einander näher zu bringen. Dieser Idee fühlen sich auch die Träger des Ubbelohde-Preises verpflichtet.
26.09.2000 * (SPa)
Wie gut, dass es sie gibt - die Ratgeber. Sie stehen uns in jeder nur erdenklichen Lebenslage mit klugen Tipps zur Seite. Schauen Sie doch mal in Ihr Bücherregal. Reihen sich dort nicht auch ganze Editionen von Ratgebern verschiedenster Art in schöner, verstaubter Eintracht aneinander?
Die Karrierefrau von heute nennt vielleicht stolz alle Bände der"1000 besten Haushalts - Tipps aus Großmutters Zeiten" ihr eigen. So ist sie beispielsweise in der Lage, alle erdenklichen Flecken auf natürliche Weise aus Kleidung, Tischdecken, Vorhängen usw. zu entfernen. Nur dumm, dass sie eigens für den Haushalt eine ganz und gar nicht ökologisch eingestellte russische Haushälterin eingestellt hat und ihre Anzüge sowieso lieber in die chemischen Reinigung bringen läßt.
Aber da ist ja noch das nette Ehepaar von nebenan. Seit Jahren läßt er sich keine Ausgabe des"ADAC Ratgeber Natur und Garten" entgehen. So ist er jetzt, im verdienten Vorruhestand, bestens gerüstet: Egal, ob beim Anlegen eines ökologisch - intakten Biogartens oder beim Bestimmen von heimischen Waldgräser - er weiß Bescheid. Schade nur, dass es sein Bandscheibenvorfall nicht erlaubt, auf Waldböden nach Gräsern zu suchen. Und einen Garten besitzen sie eigentlich auch nicht...
Trotzdem, könnte man jetzt einwenden, weiß man ja nie so genau... Vielleicht braucht man doch einmal den guten Rat von Experten und ist dann dankbar, wenn man nur seine Hand danach ausstrecken muß. Der Deutsche an sich fühlt sich halt nur sicher, wenn er für alle Eventualitäten gerüstet ist. Und außerdem sieht so eine komplette Ratgeber - Edition doch viel schöner im Bücherregal aus als einzelne nicht zusammengehörige Exemplare. Nicht wahr?
12.09.2000 * (aja)
"Unser Hauptanliegen ist es, falsche Bilder und Klischees von Polen abzulegen, die sich durch Witze und inzwischen eingebürgerte Sprüche in den Köpfen festgesetzt haben", erklärte Dr. Hans-Joachim Kraschewski vom
Hessischen Landesinstitut für Pädagogik
(HeLP) auf der Pressekonferenz zu den Polnischen Kulturwochen am Freitag (8. September). Er fügte hinzu, daß "wir die deutsch-polnischen Beziehungen und den Weh Polens in die EU begleiten möchten."
In diesem Jahr dreht sich alles um das deutsche Nachbarland Polen. Noch vor der Buchmesse in Frankfurt, deren Schwerpunktthema ebenfalls Polen ist, richtet sich die überregionale Aufmerksamkeit erst einmal auf die mittelhessische Universitätsstadt Marburg. Gemeinsam mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und dem Magistrat der Stadt Marburg veranstaltet das HeLP vom 15. Bis 30. September die "Polska Kultura"- Polnische Kulturwochen in Marburg; die Schirmherrschaft übernimmt der hessische
Ministerpräsident Roland Koch.
Rund 20 polnische Künstler zeigen anhand von Lesungen, Filmen, Konzerten und Ausstellungen, welche kulturellen Potentiale in ihnen stecken. Neben dem literarisch-kulturellen wird auch der politisch-gesellschaftliche Teil vertreten sein. Mit Vorträgen hochkarätiger Referenten aus Politik und Kultur zur deutsch-polnischen Vergangenheit, der polnischen Kultur und Gesellschaft.
"Diese Vorträge und ein Seminartag für Lehrer, Oberstufenschüler und Fachschaften sollen Hintergrundinformationen vermitteln und Aufklärung über die deutsch-polnischen Beziehungen geben", verdeutlichte Cerstin Gerecht vom German Stage Service. Sie übernimmt gemeinsam mit Simone Plefka und Gerd Krüger vom Verein Schuldkultur e.V. die Projektkoordination.
Basierend auf Exkursionen, Reisen, Seminaren nach und in Polen,
Städtepartnerschaften und Schüleraustauschprogrammen, bei denen die Verantwortlichen viel über Land und Leute erfahren haben, entstand die Idee, in Marburg Polnische Kulturwochen zu veranstalten. Es ist den Organisatoren gelungen, ein buntes und abwechslungsreiches Programm zusammenzustellen. Rund 40 verschiedene Veranstaltungen werdenin den zwei Wochen stattfinden:"Die Lesung des polnischen Autoren Stefan Chwin aus seinem Roman "Die Gouvernante" am
Freitag (22. September) um 20.00 Uhr im historischen Saal des Rathauses ist einer der Höhepunkte des Programms. Dariusz Muszer liest am Samstag (23. September) um 22.00 Uhr im Restaurant "Auflauf" aus seinem Roman "Die Freiheit riecht nach Vanille". Aber auch die Aufführung des Stücks "Bilard" der erfolgreichen Theatergruppe "Teatr Cinema" am Dienstag (26. September) in der Waggonhalle und das Kammerkonzert mit Iwona Sulkowska am Samstag (23. September) im Fürstensaal Marburger Landgrafenschlosses sind einen Besuch wert. Das umfangreiche Programm wird auch kulinarisch abgerundet: Das Res"aurant Auflauf" bringt für zwei Wochen mit Hilfe eines polnischen Kochs die landseseigenen Spezialitäten nach Marburg. Cerstin Gerecht fasste das Programm in einem Satz zusammen: "Wir machen unser NachbarlandPolen, seine Vergangenheit und seine Kultur für die Besucher der &Quot;Polska Kultura" mit allen Sinnen erfahrbar"
10.09.2000 * (CcM)
Eine Männerfreundschaft und ihr jähes Ende inszenierte Peter Radestock am Samstag (2. September) zum ersten Mal im Theater am Schwanhof. "Becket oder die Ehre Gottes" von Jean Anouilh lässt die Protagonisten und das Publikum erleben, wie eine Freundschaft im 12. Jahrhundert durch Politik in die Brüche ging.
Der englische König, Heinrich II. (Thomas M. Held) macht seinen Freund und Berater Thomas Becket (Peter Meyer) zum Kanzler und später zum Erzbischof von Canterbury, um die widerspenstige Kirche auf seine Seite zu ziehen. Doch als Becket plötzlich radikal die Meinung vertritt, die Ehre Gottes stünde über der des Königs und dann kompromisslos seinen neu eingeschlagenen Weg geht, stellt er sich damit gegen seinen königlichen Freund. So wird er schließlich in der Kathedrale von Canterbury ermordet. Die emotionale Abhängigkeit des Königs hat sich in Hass verwandelt.
Die gesamte Vorstellung dauerte über zwei Stunden, bei denen man den Eindruck hatte, einem Workshop beizuwohnen, in dem geübt werden soll, wie wahnsinnig ein Wahnsinniger und wie wütend ein Wütender aussehen muss, um möglichst unnatürlich zu wirken und gleichzeitig zu testen, wie viel Stimmvolumen man wohl einsetzen kann, ohne dass dabei die Verständlichkeit der Worte zu sehr beeinträchtigt wird.
Die stark übertriebene Darstellung von Emotionen durch die Schauspieler, die durch das Auftauchen von Personen mit Schweineköpfen auf der Bühne noch überflügelt wurde, ließ den Zuschauer etwas hilflos zurück. Diese Hilflosigkeit sollte aber nach der Konzeption der Stücke von Jean Anouilh aus der Darstellung der Charaktere und nicht aus einer zweifelhaften Umsetzung des Stückes entstehen.
Gelungen war dagegen die Darstellung des Einflusses, den die Phänomene "Macht" und "Politik" auf Beziehungen ausüben, auch wenn das Stück dadurch fast nur auf diese eine Dimension reduziert und nach dem pars-pro-toto-Prinzip der Hegemonieanspruch von Kirche gegen Krone dargestellt wurde.
Der unstete, ambivalente Charakter Beckets hätte im ersten Teil besser herausgearbeitet werden müssen, damit die mehrdeutigen Züge im Charakter ein Sympathisieren mit dieser Figur schließlich unmöglich machen. Die Inszenierung hat dem Stück damit einen Teil seiner Besonderheit genommen, weil sie die Identifizierung mit Becket ermöglicht, was vom Autor nicht gewünscht ist.
Becket erinnert fast ein wenig an den jungen Franziskus, der in seiner Aufgabe für Gott sich selbst findet, auch wenn er sehr eigenwillig die Weisung Gottes interpretiert.
Jean Anouilh, der für seine Charakterstudien auch schon mal ein gutes Stück vom historischen Original abweicht, versteht es in seinen Stücken meisterhaft, mit den moralischen und gesellschaftlichen Auffassungen des Publikums zu spielen und es dann in Hilflosigkeit und Unentschiedenheit zurückzulassen. Ähnlich wie in seiner Version des Sophokles-Stückes "Antigone" von 1942, deren Aufführung zur damaligen Zeit eine Parallele zur geteilten französischen Gesellschaft in Hitler-Kollaborateure und Widerstandskämpfer aufzeigte, hat auch die Darstellung des Thomas Becket einen publikumsspaltenden Charakter, auch wenn dieser in der aufgeführten Inszenierung nicht zu spüren war. Zur Ehre Gottes gereicht die Umsetzung dieses Stückes dem
Hessischen Landestheater
wohl nicht.
03.09.2000 * (AJA)
Wieder mal ein Highlight für Marburgs Touristen! Ein Muß als Programmpunkt für Kulturinteressierte ist die Erlebnis-Stadtführung "Marburg erleben - Nacht der verborgenen Geschichte". Seit zwei Jahren veranstaltet die Marburg Tourismus und Marketing GmbH mit ihren rund 60 Gästeführern der Stadt Marburg solch eine Art der Stadtbesichtigung.
Nach einer dreimonatigen Vorbereitungszeit durch verschiedene Arbeitsgruppen hie&sz/lig; es auch am 1. und 2. September: Eintauchen in die vielseitige Geschichte Marburgs; jedoch auf eine ganz besondere Weise!
Die Gruppen starteten jede halbe Stunde zwischen 18 und 22 Uhr vom Marktplatz aus. Trotz des schlechten Wetters waren beide Tage ausgebucht. Täglich nahmen bis zu 600 Personen an der Stadtführung teil. Sie hatten die Auswahl zwischen einer Führung durch die Oberstadt oder die "Unterstadt". Das Programm dauerte jeweils 2 1/2 Stunden;
so konnte jeder Rundgang möglichst effektiv und attraktiv gestaltet werden. Innerhalb des Oberstadt-Rundgangs wurden die Schwerpunkte auf die Lutherische Pfarrkirche, dem Landgrafenschloss-Brunnenkeller, dem Hexenturm und die Nordkasematte am Schloss gelegt. Die Gruppe "Unterstadt" besichtigte die Rathausschirne, die Alte Universität, die Augustiner-Treppe und den Bettina-von-Armin-Turm.
Jede Station des Stadtrundgangs war ein kleiner Höhepunkt. So empfingen zwei Ratssprecher in traditioneller Tracht das "Volk" auf dem Lutherischen Kirchplatzund verkündeten die neuesten Beschlüsse der Ratsherren.
Gleichzeitig wurden alle Teilnehmer durch Trompetentöne dreier Nachtwächter begrüßt.
Zum Aufwärmen gab es einen Kräuterschnaps, trotz des verkündeten Alkoholverbotes auf offener Straße.
Anschließend trieben die Nachtwächter die gestärkten Gäste 150 Stufen hoch zum Landgrafenschloß. Oben angekommen, entlohnte der weite Blick über Marburg jegliche Strapazen des Aufstiegs. Die Gästeführerin Gerhild Uesbeck gab einen geschichtlichen Überblick über die lange Bauzeit und die einzelnen Bauphasen des Schlosses.
Bevor sich die Teilnehmer in die Tiefen des Brunnenkellers trauten, warfen sie noch einen Blick hinunter auf die 80 m hohen Türme der Elisabethkirche, die nach der Hl. Elisabeth von Thüringen benannt ist. Gestärkt mit original Marburger Wasser,Bier und Schmalzbroten, konnte dann der Abstieg beginnen. Empfangen von den Geräuschen der Brunnenausschachtung, folgte eine weitere schauspielerische Einlage. Ein Brunnenarbeiter erzählte aus seinen Erinnerungen an die hoffnungslos geglaubte Wassersuche für den Schlossherren, von den Strapazen des Ausschachtens und dem hohen Preis, den er für seine Freiheit zahlen mußte.
Die nächste Station führte über mit Fackeln beleuchtete Wege und gruselig wirkende rutschige Steintreppen hinauf zum Hexenturm. Dieser war ursprünglich ein Geschützturm, wurde aber wegen seiner geringen Widerstandskraft zum Gefängnisturm - hauptsächlich für "Hexen", die auf ihren Prozeß warteten - umgebaut. Dort hörte die Gruppe über Tonband den Mythos vom letzten Gefangenen Ludwig Hilberg.
In der Nordkasematte, einem unterirdischen Schützengraben, wurden die Gäste von Soldatenstatuen begrüßt. Anhand von Tagebuchaufzeichnungen wurde die Geschichte der Teilnahme hessischer Soldaten am Unabhängigkeitskrieg der USA 1776 rekapituliert. Den "knalligen" Abschluß der Stadtbesichtigung bildete eine Schußvorführung mit einem original Handböller, der mit Schwarzpulver geladen war.
Die "Nacht der verborgenen Geschichte" wurde unter anderem von der Sparkasse Marburg-Biedenkopf, der Marburger Bank und dem Sorat Hotel unterstützt. Die
schauspielerischen Einlagen übernahmen Schauspieler der Waggonhalle, des Jugendclubtheaters des Hessischen Landestheaters Marburg und einige Gästeführer.
Diese Erlebnis-Stadtbesichtigung leuchtet auf jeden Fall als Sternchen am Himmel des Marburger Tourismus Programms und hat sich sowohl für alteingesessene Marburger, zugezogene Studenten wie auch für weit hergereiste Touristen gelohnt.
02.09.2000 * (FJH)
"Schenk unserem Publikum ein Lächeln", fordert Thorsten (Matti Fischer) den Macbeth (Ralf Knicker) auf, als der auf die Bühne tritt. Während Macbeth seinen Text "Zerhackt war nur die Schlange"rappt, werden auf zwei Bildschirmen im Hintergrund Menschen zerfleischt.
"Macbeth-Karaoke" heißt das neue Stück von Birgitta Linde, das am Freitag (1. September) im Theater neben dem Turm (TNT) uraufgeführt wurde. Es karikiert den modernen "Fun-Lifestyle", der auch die übelsten Ereignisse immer mit einem Lächeln quittiert und unangenehme Wahrheiten unter den Teppich kehrt.
Claudia Weiss beginnt mit den Textpassagen ihrer Rolle als Lady Macbeth, doch der Karaoke-Jockey Thorsten unterbricht sie und bittet sie auf die Bühne herauf . Dort zitiert sie ihren Text zur Melodie eines Songs von Elvis Presley.
Mit Witz und beißender Ironie hat die
Marburger Theaterwerkstatt/German Stage Service diese eigenwillige Verfremdung von William Shakespeares "Macbeth" inszeniert. Immer wieder brachten die fünf Darsteller das Premierenpublikum im fast vollbesetzten TNT mit gelungener Situationskomik zum Lachen. Mitunter verknüpften die Schauspieler ihre Texte auch mit modernem Szene-Jargon oder politischen Anspielungen. So forderte der auf Roland Koch zurechtgemachte Königsmörder Macbeth nach vollbrachter Tat "brutalstmögliche Aufklärung" dieses schändlichen Verbrechens.
Eine eigene Komik entstand auch durch die Vermischung heutiger Gewohnheiten mit dem klassischen Shakespeare-Text: Da lallten die Teilnehmer am Festbankett im Schloss ihren Text dahin, nachdem sie zuvor - an einfachen Mensatischen sitzend - einen ordentlichen schluck aus der Bierflasche genommen hatten; oder sie schmatzten zwischendurch mit vollem Mund, nachdem die Anlieferung des Pizza-Heimservice im Schloss eingetroffen war.
All das wirkte aber nicht wie billiger Klamauk oder Effekthascherei, weil die Gegenüberstellung von Brutalität vor allem durch das Shakespeare-Stück und die unter dessen Text als Hintergrund auf den Bildschirmen ablaufenden Horrorvideos einerseits mit der aufgesetzten Fröhlichkeit des dauergrinsenden Karaoke-Jockeys andererseits wie ein roter Faden ironischer Gesellschaftskritik durch die Aufführung lief.
Ihren Höhepunkt erreichte diese Persiflage, als kurz vor Schluss auch der Komiker Heinz Erhard sein Lieblingslied "Zeig Dein Gesicht, Tyrann!" trällerte.
Gut herausgearbeitet wurden Ehrgeiz und Machtgier des Macbeth und seiner Frau, deren Zusammenhalt ins Wanken geriet, als Macbeth am Handy erfuhr, dass sein Auftragsmord an Banquo zwar gelungen war, dessen Sohn das Mordkomplott aber überlebt hatte. Nun stiess Macbeth seine Frau mehrfach rüde von sich weg und wandte sich einer Prostituierten zu.
Originell war sicheerlich nicht nur die Form der Darstellung des vielgespielten Klassikers, sondern auch die Vermischung von Text und Musik, abscheulichen Brutalitäten und süßlichen Schnulzen. Mitunter wurden die - meist sehr bekannten- Musiktitelt von Elvis Presley über Roger Whittaker bis Abba absichtlich falsch gesungen, gelegentlich kamen sie aber auch als echte "Ohrwürmer" rüber. Immer aber stand die einschmeichelnde Musik in krassem Gegensatz zu den Gewalttätigkeiten in den dazu vorgetragenen Texten.
Ein wenig befremdlich wirkte die Besetzung von Männerrollen durch eine Frau (Sigrid Giese) und die Verkörperung mehrerer Figuren durch denselben Schauspieler. Dennoch kann jeder, der William Shakespeares Klassiker - vielleicht aus dem Schulunterricht - kennt, und etwas Humor besitzt, an Birgitta Lindes "Macbeth Karaoke" seine helle Freude haben. Dem Publikum bei der Premiere jedenfalls hat die Aufführung so gut gefallen, dass es die hervorragenden Darsteller mit minutenlangem Schlussapplaus belohnte.
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