in Partnerschaft mit
22.12.2000 * (marburgnews)
Unsere Mitarbeiterinnen
Anke Jacoby
(aja),
Christiane Musketa
(
(CCM) und
Saara Pellander
(sap) haben für Sie aufgeschrieben, wie sie das Weihnachtsfest begehen.
Christiane Musketa: Ein heimatlicher Musik- und Kirchenmarathon
Die Adventszeit ist jedes Jahr so hektisch, dass man sich immer wieder vornimmt, es beim nächsten Mal etwas ruhiger angehen zu lassen. Und niemals funktioniert es. Aber dafür ist das Weihnachtsfest selbst ein Ruhepunkt im ganzen Trubel.
Am 23. Dezember beginnt die große Anreise nach Halle, meiner Heimatstadt. Im Gepäck sind alle Geschenke, die förmlich danach rufen, unter einen leuchtenden Baum gelegt zu werden. Am Morgen des Heiligabend kann man schon mal etwas später aufstehen, denn als "Kind" der Familie gibt es im Grunde nichts mehr zu helfen. Der Baum bleibt bis zur Bescherung ein großes Geheimnis. Gegen Mittag darf man dann schon mal für das alljährliche Frikassee-Essen einiges mit vorbereiten. Am Nachmittag gehen die Kinder - also wir Jüngeren im Alter zwischen 20 und 30 - gemeinsam in die Kirche zum Krippenspiel. Das ist eine Art Theaterstück, das von ebenso "jungen" Kindern vorgeführt wird, die darin Weihnachtsgeschichte jedes Jahr neu erzählen. Anschließend gibt es Abendessen, zu dem jedes Jahr auch Verwandte eintreffen. Es werden Weihnachtslieder gesungen, bis der Flügel ganz müde wird. Wenn man dann vom Singen und Essen ganz erledigt ist, klingelt endlich das sehnsüchtig erwartete Glöckchen: das Christkind war da! Mit einem Weihnachtslied auf den Lippen dürfen nun alle ins Wohnzimmer, wo der Weihnachtsbaum bewundert wird. Jemand liest die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vor, und die große Bescherung beginnt. Der riesige Päckchen-Berg unter dem Baum scheint überhaupt nicht kleiner zu werden, aber schließlich ist es geschafft.
Und schon geht es wieder los: die Christmette ruft. Der nächtliche, nostalgisch-festliche Gottesdienst, bei dem einige Familienmitglieder als Chorsänger die Kirche mit beschallen, dauert gute zwei Stunden. Bloß gut, dass es im Anschluss Stollen und Glühwein im Gemeindehaus gibt, wo man dann seine Freunde trifft und beschenken darf. Erst spät in der Nacht kommen wir heim und fallen ins Bett.
Am Weihnachtsmorgen beglücken wir meinen Vater mit unserer Anwesenheit bei einem Weihnachtsfrühstück. Heute ist mal nicht Kirchen, sondern Ess-Marathon angesagt. Zum Mittagessen geht es ins Restaurant, anschließend zum Kaffeetrinken zur Oma, die doch bittet, dass man zum Abendessen noch bleibe. Wer dann immer noch Hunger hat, kann ja den bunten Teller zu Hause schlachten.
Am 26. Dezember gibt es die große Orchestermesse in der Kirche. Lange wurde dafür geübt, alle beteiligten Familienmitglieder müssen unchristlich früh losfahren, um rechtzeitig zum Einsingen da zu sein. Dafür gibt es im Anschluss noch ein leckeres Mittagessen und dann beenden wir die Feier des Weihnachtsfestes, indem wir uns ins Auto schwingen und gen Marburg heimfahren.
Saara Pellander: Der Weihnachtsmann ist ein Finne
Die Geschenke bringt der Weihnachtsmann, das wusste ich seit langem. Aber was oder wer war dieses Christkindchen, nach dem so viele fragen? Meistens ernten sie irritierte Blicke und ein Schulterzucken auf die Frage "Was hat dir denn das Christkindchen gebracht?". Meine Mutter erzählte mir, die "Tonttus" seien Weihnachtswichtel, die für den Weihnachtsmann bei den Menschen ein wenig spionieren und über ihr Betragen berichten sowie Wünsche der Kinder zu ihm bringen. Meine Kinderfrau wiederum erklärte, die Engelchen nähmen meinen Wunschzettel mit, wenn ich ihn mit einem Zuckerstück auf den Balkon lege. Und was war eigentlich mit diesem Knecht Ruprecht und Nikolaus?
Kulturen-Chaos im Weihnachtsdschungel, denn wir feiern finnische Weihnachten. Meine Mutter stammt aus diesem Land, wo der "Joulupukki" (Weihnachtssmann) zu hause ist und im nördlichen Lappland im Berg "Korvatunturi" wohnt. Dort soll auch die Weihnachtswerkstatt sein, in der die Tonttu-Wichtel eifrig mit der Herstellung der Geschenke beschäftigt sind.
Typisch für das finnische Weihnachtsfest ist das Weihnachtsessen, dass bis auf kleine regionale Differenzen in ganz Finnland das gleiche ist und auch so gut wie in jeder Familie Weihnachten zubereitet wird. Dabei ist zentrales Element der schon vom Metzger gesalzene Schinken und diverse Aufläufe, ein Möhren-, Kartoffel- und Steckrübenauflauf. Ein recht aufwendiges Gericht, das sich allerdings auch lange hält. Als Vorspeise gibt es Stockfisch und zum Hauptgericht den Rossoli-Salat, eine pink-rot-rosa aussehnde Köstlichkeit aus Roter Beete, Kartoffeln, Apfel und Gurke. Zum Nachtisch gibt es Milchreis mit einer Mandel, die demjenigen, auf dessen Teller sie landet, im nächsten Jahre Glück bingen soll.
Heilig Abend beginnt bei uns um 12 Uhr finnischer Zeit, also 11 Uhr in Deutschland, denn da wird vom Balkon des Doms im südfinnischen Turku der sogenannte Weihnachtsfrieden verlesen und über das finnische Fernsehen ausgestrahlt. Dieser Zustand des-sich-im-Weihnachtsfrieden-befindens hat sogar rechtliche Gültigkeit, Verbrechen werden in dieser Zeit härter bestraft. Gemeinsam mit einer anderen finnischen Familie lassen wir diese Fernsehübertragung das Weihnachtsfest einläuten, unserer mammutgroßen Parabolantenne sei Dank.
In Finnland gedenkt man an Weihnachten nicht nur der Geburt Jesu Christi, sondern auch der verstorbenen Verwandten. Der Gang zum Friedhof und das Aufstellen einer Kerze auf den Gräbern gehört zu Weihnachten dazu wie Kirch- und Weihnachtssaunagang.
Der Joulupukki schaut übrigens auch bei uns jedes Jahr persönlich vorbei. Dass meine Mutter bis heute jedesmal irgendwie den Augenblick verpasst hatte, wenn der sympathische alte Mann mit dem finnischen Akzent von seiner abenteuerlichen Anreise durch nicht-verschneite Landschaften erzählt und Geschenke für die ganze Familie vorbeibringt, bedauerte ich lange, bis ich eines Tages die Gummistiefel meiner Mutter an "seinen" Beinen wiedererkannte. Doch trotzdem wird sie auch in diesem Jahr erneut den roten Mantel überwerfen. Weihnachten ist eben doch das Fest der Traditionen.
Franz-Josef Hanke: Uns bescherte der "Danziger Weihnachtsmann"
Mein Vater hatte seine Heimatstadt Danzig gleich nach dem 2. Weltkrieg verlassen müssen und sich im Rheinland niedergelassen. Die Erinnerung an die traditionsreiche Hansestadt pflegte er weiterhin im "Bund der Danziger", der auch ein eigenes Weihnachtsfest für die Mitglieder und ihre Angehörigen ausrichtete. Als Kinder freuten wir uns schon zu Beginn der Adventszeit auf diese Feier in einem alten Kneipensaal, zwo uns der "Danziger Weihnachtsmann" bescherte.
Der weißbärtige Mann in roter Kluft mit ebenso roter Kapuze und dicker Hornbrille verlangte freilich, dass die Kinder ihren Beutel mit Süßigkeiten und einem kleinen Geschenk durch Gesang und Gedichte verdienten. Jedes Kind trug ein Weihnachtsgedicht vor, und zusätzlich führten einige Jugendliche - vestärkt durch Aktivistinnen des Vereins - ein kleines Theaterstück auf.
Der "Danziger Weihnachtsmann" berichtete dann von der Weihnacht an der Weichsel und der Mottlau, die unweit des Krantors zu Weihnachten oft zugefroren sein mochten. Die Kinder bekamen "Thorner Kathrinchen", während die ERwachesenen sich an "Stobbes Machandel" oder "Danzigger Goldwasser" gütlich taten. Alle freuten sich auch an Herzen und Schweinchen aus Marzipan, die der begnadete Konditor aus der westpreussischen Hafenstadt - mit kleinen Ornamenten verziert - jedes Jahr wieder ganz süß geformt hatte. Unbedingt dazu gehörte immer das Danziger Weihnachtslied "Oh du Fröhliche", das mit besonderer Inbrunst gesungen wurde.
Einmal - ich war wohl ungefähr 14 oder 15 Jahre alt - habe ich selbst im Weinachtsstück mitgespielt. Ich habe die Rolle eines alten Nachtwächters übernommmen, der am Heiligen Abend durch die Straßen Danzigs geht und jede Stunde mit einem Lied ankündigt.
Meine Mitspielerin, eine nicht mehr ganz junge Frau, improvisierte ihren Text frei, obwohl die Frau des Vereinsvorsitzenden ihn - in sicherlich mühevoller Fleißarbeit - in rhythmische Reime vrpackt hatte. Um nun diese kunstvolle Form zu retten, improvisierte auch ich und suchte auf jede fehlerhafte Äußerung der Mitspielerin eine Antwort, die sich darauf reimte. Ich glaube, es ist mir so gut gelungen, dass nur die Regissseurin etwas bemerkt hat. Sie war nach der Vorstellung jedenfalls voll des Lobes für mich.
Der "Danziger Weihnachtsmann" lobte mich ebenfalls mit seiner tiefen, brummigen Stimme. Aber da wusste ich schon, dass sich hinter der dicken Brille und unter der roten Kapuze mein Vater versteckt hatte. Jahrelang hatte ich ihn aber nicht erkannt, da er mit seinem scharfen Auge normalerweise keine Brille brauchte.
Anke Jacoby: Meine Weihnachtsgeschichte
Auf den 1. Dezember freue ich mich immer ganz besonders, da es neben dem Beginn der Adventszeit - alle öffnen gespannt das erste Türchen des Adventskalenders - auch mein Geburtstag ist. Seit einigen Jahren nutzen meine Freunde diese Gelegenheit, mir einen individuellen Adventskalender zu basteln, mit vielen Leckereien, witzigen und nützlichen Utensilien, oder tiefsinnigen und spaßigen Sprüchen und Gedichten. Jeder noch so graue Dezembertag beginnt für mich dadurch mit einem Lächeln. Sobald der 12. Monat des Jahres anbricht mache ich mir auch die ersten Gedanken über Weihnachtsgeschenke. Wie immer, fangen die grauen Gehirnzellen an zu routieren, was der ein oder andere noch brauchen, welches Geschenk am meisten Freude bereiten könnte. Für die engsten Freunde ist schnell ein passendes Geschenk gefunden, Wünsche werden von ihnen reichlich geäußert; nur lassen meine Ideen für die Eltern wie jedes Jahr zu wünschen übrig. Auch nach geschicktem und gezieltem Aushorchen komme ich nicht weiter als "Wir brauchen nichts!". Nun habe ich drei Wochen Zeit, um Geschäfte nach etwas Geeignetem zu durchforsten.Doch natürlich bestimmen nicht nur Geschenke den vorweihnachtlichen Alltag.
Das Haus wird mit Fensterschmuck und Lichterketten verziert und erhellt, die ersten Weihnachtslieder begleiten uns beim gemeinsamen Plätzchen backen, die neuesten Kreationen werden dabei entworfen. Die Tage werden kürzer, doch zugleich auch viel gemütlicher. Häufiger verbringt man mal einen ruhigen Abend mit einer guten Tasse Tee vor dem Fernseher oder verkriecht sich an kalten Tagen mit einem spannenden Buch ins warme Bett.
Was ich auch besonders mag sind Besuche auf verschiedenen Weihnachtsmärkten, doch leider bin ich über Marburg, Trier, Saarbrücken und Köln, trotz festem Vorhaben, noch nicht hinaus gekommen. Dort an den Ständen entlang spazieren, Glühwein trinken und eine große Dampfnudel mit Vanillesoße und heißen Kirschen schlemmen - das gehört für mich zu Weihnachten dazu und schafft eine schöne Atmosphäre. Leider raubt uns der Alltagsstreß und die letzten Tage an der Uni vor den Ferien das Gefühl und die Sensibilität für die vorweihnachtliche Zeit, so daß viele erst einige Tage vor dem vierten Advent darauf aufmerksam werden, was nicht noch alles zu erledigen ist und wie wenig Zeit dafür noch bleibt. So werden im Eiltempo Weihnachtsgrüße an Freunde und Verwandte verschickt und die letzten Geschenke organisiert.
Nun trennen uns noch vier Tage vom heiligen Abend. Was jetzt noch fehlt, ist der Weihnachtsbaum, dessen Höhe, Umfang und Dichte natürlich genau ausgewählt sein will. Aber geschmückt wird er erst am 23. Dezember, wofür meine Mutter und ich immer zuständig sind. Wenn unser kleines "Kunstwerk" fertig ist, und seine Lichter durch das Wohnzimmer strahlen, dann ist für mich endgültig Weihnachten. Am 24. Dezember wird tagsüber erst mal "gefastet" - bis auf die Plätzchen, denen man eh nicht widerstehen kann - denn abends erwartet uns, wie jedes Jahr, ein leckeres Fondue. Da sich unser Festmahl schon mal über ein, zwei Stunden hinziehen kann, Packen wir die Geschenke während des Essens. Jeder verteilt seine Geschenke an die anderen. Um 24 Uhr besuchen wir dann meistens gemeinsam die Christmette, die zirka eine Stunde dauert. Den Abend lassen wir dann gemütlich bei einem Glas Wein ausklingen, manchmal werden auch noch alte Gesellschaftsspiele ausgepackt.
Ich wünsche allen, die an Weihnachten vor dem Computer sitzen oder vielleicht alleine feiern müssen, einen schönen besinnlichen Abend und vor allem einen guten Start ins neue Jahr 2001!
18.12.2000 * (FJH)
"Er ist ein europäischer Botschafter des dörflichen Raums", sagt der hessische Justizminister Dr.
Christean Wagner
aüber
Angus Fowler. In Vertretung des Bundespräsidenten überreichte er am Montag (18. Dezember) dem Historiker das "Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland bei einer Feierstunde im Historischen Saal des Rathauses.
Er habe schon oft Auszeichnungen überreicht, bemerkte der Minister, aber diese hier sei absolut "ungewöhnlich". Fowler wurde 1946 in der Nähe der britischen Stadt Leeds geboren. 1967 kam der Schotte als Austauschstudent nach Marburg, wo er bis 1969 blieb. 1972 kehrte der Oxford-Absolvent nach einem Zwischenaufenthalt in Chester wieder nach Marburg zurück, wo er seine zweite Heimat gefunden hat.
"Wir beide leben jetzt seit 28 Jahren in Marburg", bemerkte Bürgermeister
Egon Vaupel, der Fowlers Kenntnisreichtum bezüglich der Marburger Oberstadt rühmte: "Wenn man etwas über die Fachwerkhäuser wissen möchte, ist er diese Häuser für die Stadt bedeuten, ist wohl jedem klar."
Christean Wagner erinnerte sich an seine Zeit als Landrat in Marburg, in der er Fowler kennenlernte: "Ich habe diese Arbeit mit viel Vergnügen und Impetus unterstützt."
1974 hatte sich der britische Historiker dem - ein Jahr zuvor gegründeten - "Förderkreis Alte Kirchen" angeschlossen, der den damals geplanten Abriss mehrerer Fachwerkkirchen im Landkreis verhindern wollte. "Zwei- bis dreimal die Woche fahre ich an einer Ihrer Kirchen vorbei, und dann denke ich immer an Sie", sagte Wagner.
Seit 1976 gehört Fowler dem Vorstand des Förderkreises an. 1900 leistete er auch Geburtshilfe bei der Gründung gleichartiger Fördderkreise in Brandenburg, Thüringen udn Mecklenburg-Vorpommern. 1995 beteiligte er sich an der Gründung einer "Arbeitsgemeinschaft für Erhaltund Nutzung von Gutsanlagen" in der ehemaligen DDR. Eine zweite - ebenfalls von Fowler mit initiierte - Arbeitsgemeinschaft befasst sich mit Tourismus im ländlichen Raum. Außerdem beteiligte er sich an der Gründung von "ECOVAST", des "European Council for the Village and the small Town", deren Präsident er heute ist.
Ziel all dieser Aktivitäten ist der Erhalt dörflicher Strukturen, die durch Landschaftszersiedelung und Strukturveränderungen in der Landwirtschaft bedroht sind.
Dies könne man - so Wagner - in seinem eigenen Wohnort Gossfelden gut beobachten. Hier gebe es nur noch drei Bauernhöfe. Neulich habe er einen umgebauten Hof gesehen, der jetzt sechs Wohnungen beherbergt. "Aber wenigstens die Fassade ist erhalten geblieben", freute sich der Minister.
Dieser Sinn für den Erhalt alter Bausubstanz war nicht selbsstverständlich, als Fowler vor 30 Jahren seine Arbeit aufnahm: "Wir wurden damals als Spinner beschimpft und als weltfremde Utopisten." Der damalige Bundespräsident Walter Scheel stellte in einer Rede zum Jahr des Denkmals 1975 fest, dass zwischen 1945 und 1975 "mehr erhaltenswürdige Gebäude zerstört wurden als im 2. Weltkrieg selbst".
Der Erhalt historischer Bauwerke ist Fowler ein Herzensanliegen. Scharf brandmarkte er die "Neue mitte Marburgs" und die dahinterstehende Neigung, alte Bausubstanz durch neue zu ersetzen. Eine besonders tiefe Wunde habe die Stadtautobahn ins Marburger Stadtbild geschlagen. Glücklicherweise hätten Ende der 60er Jahre aber Pläne verhindert werden können, wonach ein Großteil der Oberstadt dem Bau breiter Straßen hätte weichen sollen.
11.12.2000 * (sfb)
Ein breiter Lichtkegel auf einer Heimorgel, darauf ein Manusskript, aus dem ein schwarzgekleideter Herr liest - dies ist ein seit Jahrzehnten liebgewonnener Anblick auf deutschen Kleinkunstbühnen. Er bot sich den Zuschauern am Samstagabend (9.Dezember) in der Marburger Stadthalle zum letzten Mal. Zu diesem Abstecher auf seiner Abschiedstour"Sach ma nix" lud die
Oberhessische Presse
(OP) keinen geringeren als den Kabarettisten Hanns-Dieter Hüsch ein.
"Ich bin gekommen euch zum Spaß", sang Hüsch aus einem Vierzeiler. In der Tat: Spaß hatten seine Fans und hätten ihn gern noch öfter. Krank, aber tapfer kramte der ehrwürdige Altmeister seine unverwechselbaren"Scherzartikel" aus der Wundertüte. Darunter gab es "viel Unsinn redende Blumen", die er in alter Manier querbeet in sein Publikum streute. So ließ der 75-jährige Hüsch mit schwindelerregenden Gedankensprüngen"Vögel rückwärts singen", "Wolken aussehen, wie Dänemark," oder "Gänse das Einmaleins schnattern". Diese regten ihn dann prompt zu der philosophischen Überlegung an, ob es unter Gänsen auch Stoiker gäbe.
Unsinnig, aber die Lachmuskeln kitzelnd, war auch das Futur 3 a la Hüsch: "du solltest geworden wären."
Nicht nur Unsinn machend, auch denselben aufspürend, ging Hüsch der Frage nach, wie ein Redakteur aussehen muss, - nicht wie er heißt,- wenn der in der Sonntagsbeilage schreibt- "Machen Sie aus fünf Streichhölzchen ein Quadrat, ohne die Tischplatte zu berühren."
Nicht fehlen durften auch die zum festen Repertoire gewordenen Dialoge mit seiner Frau. Diese macht sich darüber lustig, dass er sich mit Friedrich dem Großen identifiziert. "Du kannst doch nicht einmal Blockflöte spielen. Aus dem 7-jährigen Krieg wärst du auch nicht wieder gekommen," meint sie.
Weitere Aussprüche kommentierte Hüsch als typische Sätze"von Frauen für Frauen." Wird Hüsch auf seine alten Tage etwa frauenfeindlich? Mit seiner Hommage an Christiane Vulpius widerlegte er manch voreiligen Verdacht. In der Lebensgefährtin Goethes entdeckt er nicht das einfach strukturiertes Wesen, sondern die "Tiefe der Oberflächlichkeit". Sie gehöre zu den Menschen, die Großes im Kleinen zeige.
Den für unsere klassische Bildung verantwortlichen Goethe hingegen holte der Niederrheiner gern von dem hohen Sockel herunter.
Auch der liebe Gott mußte dran glauben. Dieser taucht ab und in einer Wäscherei in Dinslaken wieder auf. Dort verkauft er wasserdichte Heiligenscheine, ohne mit praktischen Gebrauchsanweisungen zu sparen:" Ziehst du am linken Ohr leuchten sie auf, am rechten gehen sie wieder aus - die dimmenden Heiligenscheine."
Hüsch wäre nicht Hüsch, gäbe er seinem Publikum nicht auch Nachdenkliches mit auf den Weg.Es sei eine Krankheit der Menschen, so Hanns-Dieter Hüsch, einander zu beobachten und anschließend zu zerfleischen. Der Grund: "Nur weil kein Mensch derselbe ist". Aber: "Nur, wenn wir alle in uns sind, fliegt keine Asche mehr im Wind", sang er auf seiner Orgel.
Auch dafür zollte das sichtlich gerührte Publikum diesem großartigen Kabarettisten zum wehmütigen Abschied stehende Ovationen. Was sachta noch: "Habe die Ehre, wir sehen uns wieder."
07.12.2000 * (aja)
Ziel: Marburg,
KFZ, Dienstag (5. Dezember)! Nach einer langen Odyssee durch Hessens Dörfer hat Maike Wetzels Zug auch das nette Städtchen Marburg gefunden.
Im gemütlichen Ambiente mit Kerzenschein warten die 50 Zuhörer gespannt auf die Autorin. Das Marburger Literaturforum veranstaltet die Lesereihe junger Autoren. Auch Maike Wetzel wurde eingeladen, um aus ihrem - im März dieses Jahres erschienen - Debüt-Roman "Hochzeiten" vorzulesen.
Die Lesung begann mit ihrer persönlichen Lieblingsgeschichte "Der König", die sie in ihre Kindheit zurückführt, "in den Teil, den ich gerne wieder hätte".
Maike Wetzel wurde 1974 geboren. Sie studiert an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. 1997 wurde sie als jüngste Preisträgerin mit dem "Bettina-von-Armin-Preis" ausgezeichnet. 1999 erhielt sie den "Allegra-Literaturpreis".
Ihr erstes schriftstellerisches Werk startete sie mit 16 Jahren im Rahmen eines Schüler-Wetttbewerbs zum Thema "Experimente". Ihre Arbeit betitelte sie mit "Der Versuch". Seine Veröffentlichung folgte in einer anschließenden Wettbewerbs-Anthologie.
Bei der Lesung in Marburg mußte Maike Wetzel wegen einer Erkältung leichte Pausen einlegen. Sie las teilweise hastig und unruhig. Da blieb es auch nicht aus, dass sie sich mal verlas. Die dynamische Jung-Autorin brachte aber durch ihre Vortragsweise Leben in die drei - an diesem Abend präsentierten - Erzählungen. Dadurch machte sie dem Publikum die Inhalte der doch abrupt endenden Kurzgeschichten verständlicher, gab dem Hörer deutlichere Denkrichtungen vor.
Mit ihrer zweiten Geschichte "Nachsaison" gab sie dem Publikum Anstöße zum Nachdenken. Teilweise wurde sie mit fragenden Blicken überzogen. Unverständnis sprach aus den Augen vieler Zuhörer.
Maike Wetzel schloss ihre Lesung mit einer Premiere: Zum erstenmal las sie die siebte ihrer zehn Kurzgeschichten "Die Insel". Mit ihrer lockeren Vortragsweise minderte sie dabei aber nicht die Qualität der Inhalte. Ihre Erzählungen handeln von unerfüllten Liebesbeziehungen. Die Hauptpersonen verharren teilweise in Aktionsloigkeit und Passivität, lassen sie auf einer Eisscholle durch das Leben treiben.
Im Anschluss an die Lesung folgte eine kleine Diskussion über Tubenkäse, der - trotz der Zweifel eines Zuhörers - nicht nur in einer von Maike Wetzels Geschichten vorkommt, oder die geographische Zuordnungen der ungenannten Schauplätzen.
"Ich habe mir mit diesem Buch einen Kindheitstraum erfüllt. Ich wollte schon immer schreiben", antwortete die Autorin auf die Frage, welcher Druck jetzt auf ihr lasten mag, weiterhin Erfolgsbücher verfassen zu müssen. Als Jung-Autorin werde man oft in die Schublade der sogenannten "Pop-Literatur" gesteckt, Kritik von Rezensenten werde schnell verallgemeinert.
Einige Leser bemerkten dass die Erzählungen sehr abrupt enden. Viele Fragen blieben offen. Für den Leser bestünden damit aber viele Möglichkeiten, die Geschichte enden zu lassen. Maike Wetzel hat die Stelle, an der die Handlung abbricht, sehr bewusst gewählt. Das Ende kommt dort, wo sie dem Leser genügend Leitfäden gegeben hat, die Geschichte nach eigenen Vorstellungen weiterzuführen.
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22.12.2000 by
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